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Aktualisiert: Vor Innenministerkonferenz – Bundesregierung und UNO überkreuz zur Lage in Afghanistan

Aktualisiert: Vor Innenministerkonferenz – Bundesregierung und UNO überkreuz zur Lage in Afghanistan

Afghanistan Zhaghdablai

~ Thomas Ruttig über Afghanistan

Aktualisiert: Vor Innenministerkonferenz – Bundesregierung und UNO überkreuz zur Lage in Afghanistan

 

Wieder einmal stehen sich die Bewertungen der deutschen Bundesregierung und der Vereinten Nationen, was die Möglichkeit und Zulässigkeit von Abschiebungen nach Afghanistan betrifft, diametral gegenüber.

Von Magnetmine zerstörtes Fahrzeug am 2.6.19 in Kabul, in Toter. Foto: Pajhwok.

 

Agenturberichten zufolge will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf der morgen (am 12.6.19) in Kiel beginnenden, dreitägigen Innenministerkonferenz (IMK) der Länder auch die das bisher verweigernden Bundesländer – im übrigen eine deutliche Mehrheit – dazu bringen zuzustimmen, dass alle ausreisepflichtigen Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben werden können und die Beschränkung auf die drei Personengruppen der Straftäter, „Gefährder“ und sogenannte Mitwirkungsverweigerer bei der Identitätsfeststellung (im Agenturbericht fälschlicherweise als „Identitätsfälscher“ bezeichnet) aufheben. Die Bundesregierung – darunter Kanzlerin Merkel persönlich – hatte das schon im vergangenen Jahr für möglich erklärt (mehr hier), die meisten Bundesländer waren ihr dabei aber nicht gefolgt.

Bereits bei der jüngsten IMK im November 2018 hatte der Sprecher der SPD-Länder, Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, entschieden der Sicht seiner CDU/CSU-Kollegen widersprochen, so ein weiterer Medienbericht, wonach es in Afghanistan ausreichend sichere Regionen gebe. Dass es seit der Erstellung des Lageberichtes vom Mai 2018 wieder vermehrt Selbstmordanschläge gegeben habe, spreche für eine deutlich verschlechterte Lage. Deshalb müsse man bei der vereinbarten Praxis bleiben und „Straftäter und terroristische Gefährder, aber keine Familien mit Kindern und andere in dieses unsichere Land abzuschieben“, so Pistorius. Dpa meldete, entsprechend seien „die Pläne in der neuen Beschlussvorlage als strittig zwischen unions- und SPD-geführten Landesregierungen gekennzeichnet.“

[Aktualisierung 11.6.19, 14:30 Uhr: Inzwischen äußerte sich Pistorius auch jetzt noch einmal. „Das ist ein Vorschlag, den wir aktuell ablehnen werden“, sagte er als Sprecher der SPD-Innenminister der Deutschen Presse-Agentur in Hannover. Aus dem gleichen Bericht geht auch hervor, dass dieser Vorstoß nicht nur von den unionsgeführten Ländern, sondern auch vom grünregierten  Baden-Württemberg.]

Dpa schrieb auch, dass aus einem Antrag des Ministeriums an die Innenministerkonferenz hervorgehe, dass Seehofer sich dabei „auf einen aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts“ beziehe. Der zeige, „dass wieder allgemeine Rückführungen aller abgelehnten Asylbewerber nach Afghanistan möglich seien.“

Allerdings stammt der Bericht von Mai 2018 und ist nicht mehr aktuell (und außerdem z.T. ungenau und in einigen Aussagen auch falsch – meine Kritik dieses Berichtes hier). Seine in Jahresfrist notwendige Aktualisierung liegt bisher nicht vor.

Unterdessen sprach sich das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) wegen der Gefahrenlage in Afghanistan gegen Abschiebungen in großem Stil in das Kriegsland aus. „Die Sicherheitslage in dem Land lässt Rückführungen nur im Ausnahmefall zu. Und die Situation hat sich in den letzten Monaten weiter verschlechtert“, sagte der UNHCR-Vertreter in Deutschland, Dominik Bartsch. „Die Taleban haben dramatisch wieder an Boden gewonnen“, sagte Bartsch dem UNHCR zufolge weiter. Der Staat sei nicht in der Lage, vor „marodierenden Banden“ zu schützen. Auch die früher als Zufluchtsort angesehene Hauptstadt Kabul sei inzwischen hochgefährlich. „Die Stadt ist völlig überlastet und deutlich gefährlicher als früher. Eine Fluchtalternative ist sie nicht mehr“, sagte Bartsch.

Hier der letzte Quartalsbericht von UNAMA sowie eine weitere Erklärung von UNAMA über das gesteigerte Gewaltniveau während des gerade zu Ende gegangenen Fastenmonats Ramadan, die diese Angaben belegen.

Im letzten Bericht des Sondergesandten für Afghanistan an den UN-Sicherheitsrat im März 2019 für 2018 sprach er von einer weiter „volatilen“ Sicherheitslage (ein Begriff, den die Bundesregierung ebenfalls gebraucht) „mit einer konsistent hohen Anzahl an Sicherheitsvorfällen“. Zwar sei diese Zahl 2018 gegenüber 2017 um 5 Prozent gefallen, aber gleichzeitig wurde die höchste Zahl jemals registrierter Selbstmordanschläge und getöteter Zivilisten verzeichnet. Im ersten Quartal 2019 überstieg die Zahl der durch die verbündeten afghanischen und US-Streitkräfte getöteten Zivilisten nach UN-Angaben erstmals die der Aufständischen (Taleban und IS; AAN-Analyse hier); aber gleichzeitig erhöhten letztere ihre gezielte Mordkampagne (siehe auch hier).

Das UNHCR lehne Abschiebungen nach Afghanistan nicht grundsätzlich ab, heißt es in dem Bericht weiter. Entscheidungsträger müssten sich jedoch im Klaren darüber sein, „in was für ein Land diese Menschen gebracht werden“, erklärte Bartsch mit Verweis auf häufige Terroranschläge und ständige Menschenrechtsverletzungen.

Die Bundesregierung hat sich in ihren Bewertungen zu Afghanistan bisher regelmäßig über abweichende Einschätzungen der UNO hinweggesetzt, wenn sie der Begründung ihrer Abschiebepraxis nach Afghanistan im Weg standen (siehe z.B. hier; die geltenden UNHCR-Richtlinien hier).

Vor Beginn der IMK wird heute (am 11.6.19) in Kiel erstmals ein Runder Tisch mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen – darunter Pro Asyl, Flüchtlingsräte und kirchliche Einrichtungen – mit Vertretern der IMK tagen, auf dem erstere ihre Positionen zu den Tagesordnungspunkten der Konferenz darlegen werden. Zum Thema Afghanistan werde ich vortragen. Man kann nur hoffen, dass die IMK diesen Positionen mehr Gehör schenkt, als die Bundesregierung es bei der jüngsten Verabschiedung eines neuen Gesetzespakets zur Asylrechtsverschärfung tat.